Immer noch hält sich bei vielen Hundehaltern die These, dass bei verschiedenen Verhaltensproblemen mit ihrem Hund, die Kastration eine Art Wunderheilung ist. Doch ganz so einfach ist das nicht. Wieso Kastration gesundheitlich und psychisch gefährlich werden kann und welche Folgen solch ein Eingriff hat, erfährst du hier.

Laut dem deutschen Tierschutzgesetz gilt das „vollständige oder teilweise Amputieren von Körperteilen oder das vollständige oder teilweise Entnehmen oder Zerstören von Organen oder Geweben eines Wirbeltiers“ als verboten. Ausnahmen gibt es nur, wenn eindeutige medizinische Gründe vorliegen oder eine berechtigte Verbesserung von Problemverhalten besteht.

Die zuverlässige Unfruchtbarmachung ist natürlich sinnvoll und besonders bei Tierschutzhunden oft Pflicht. Jedoch kann dies theoretisch auch mit einer Sterilisation erreicht werden, bei der nur der Samenleiter beim Rüden bzw. die Eileiter bei der Hündin durchtrennt werden. Im Gegensatz dazu werden bei der Kastration die entsprechenden Körperteile entfernt, wodurch keinerlei Sexualhormone mehr gebildet werden. Auch prophylaktische Kastrationen, z.b. zur Vermeidung von Gebärmuttervereiterungen oder Gesäugetumoren sind verboten.

Frühkastration vor Ende der Pubertät

Wenn es keinen medizinischen Grund gibt, sollte man einen Hund nicht vor dem Ende der Pubertät kastrieren lassen. In den USA werden Hunde gern besonders früh kastriert und auch in Deutschland gibt es mehr als genug Hunde, die zu früh unters Messer kommen. Dann kann es passieren, dass dein Hund körperlich oder geistig in der Entwicklung zurück bleibt. Sie werden quasi nie so richtig erwachsen, weil ihr geistiges Vermögen nicht ausgereift ist.

Eine Frühkastration erfolgt vor dem Ende der Pubertät, also etwa ab der dritten Läufigkeit bei der Hündin. Die meisten Hunde gehen durch zwei Phasen der Pubertät, in denen sich das Gehirn aufgrund der Sexualhormone noch einmal ordentlich entwickelt. Erst danach hat der Hund die geistige und körperliche Reife erreicht. Natürlich gehört auch bei Hunden die Pubertät zu einer extrem nervigen Phase, aber da muss man nun einmal durch, weil es einfach dazu gehört und man seinen Hund ja trotzdem liebt.

Kastration als Mittel gegen Aggressionsverhalten?

Oft denken Hundehalter, dass sie ein mögliches Aggressionsverhalten beim Hund mit einer Kastration sozusagen wegoperieren können. Doch weit gefehlt, denn nur die wenigsten Auslöser für Aggressionen haben mit dem Sexualtrieb zu tun.

Einer der häufigsten Gründe für Aggressionen beim Hund ist z.B. Angst. Diese massive Unsicherheit kann bei einer Kastration verstärkt werden, besonders wenn sie zu früh erfolgt. Grund dafür ist oft die Angst vor Kontrollverlust oder Situationen, die negativ auf den Hund wirken. Dabei wird das Stresshormon Cortisol ausgeschüttet, während die Sexualhormone die Ausschüttung von Cortisol hemmen und damit dafür sorgen, dass der Hund ein gesteigertes Selbstbewusstsein bekommt.

Hündinnen können im Laufe des Zyklus Phasen haben, in denen sie aggressiver oder sich anderweitig auffällig verhalten. Hier kann eine Kastration natürlich Abhilfe schaffen, es sollte jedoch geprüft werden, inwiefern solch ein Eingriff wirklich nötig ist. Ein paar Tage im Jahr mit dem Verhalten zu leben, muss nicht unbedingt ein Grund für die Kastration sein.

Bei Hunden, die sehr territorial veranlagt sind oder permanent ihren Status durchsetzen wollen, kann eine Kastration helfen. Auch hier muss man allerdings genau schauen, ob das Verhalten durch die Sexualhormone ausgelöst wird oder möglicherweise erlernt ist. Bei erlerntem Verhalten hilft nur ein guter Hundetrainer.

Vermeidung von Scheinträchtigkeit

Viele intakte Hündinnen haben Probleme mit der sogenannten Scheinträchtigkeit. Hierbei denkt die Hündin, sie wäre trächtig und entwickelt ähnliche Verhaltensmuster, die sie auch bei einer Schwangerschaft zeigen würde. Dazu gehört z.B. das Horten von Spielzeugen oder Kuscheltieren und der „Nestbau“.

Diese Verhaltensweisen werden hormonell gesteuert und es kann sogar zu einer Ausbildung des Gesäuges kommen, was für die betroffene Hündin schmerzhaft werden kann. Auch eine Schwangerschaft der Hundehalterin oder ein kleines Baby im Haushalt können eine Scheinträchtigkeit auslösen. Eine Kastration wäre in diesen Fällen nur empfehlenswert, wenn das Verhalten regelmäßig auftritt und die Hündin in der Zeit wirklich Probleme hat.

Hypersexualität und Kastration

Deinem Hund wird hypersexuelles Verhalten nachgesagt, weil er z.B. auf andere Hunde aufreitet? Dieses Verhalten hat meist weniger mit Sexualität zu tun, sondern ist eher eine Art Übersprungshandlung, mit der der Hund Streß abbaut. Schaue immer genau, ob das Verhalten deines Hundes wirklich durch Sexualhormone ausgelöst wird oder ob es sich einfach um eine Verhaltensweise handelt, die er erlernt hat oder die sich im Laufe der Zeit „eingeschlichen“ hat.

Auch kastrierte Rüden zeigen Sexualverhalten. So hat z.B. mein alter Hund Herr Dr. Schröder wunderschöne Waldrunden mit seiner besten Freundin, als diese heiß war. Obwohl Schrödi schon lange kastriert war, haben sich die beiden bei jeder sich bietenden Gelegenheit in die Büsche geschlagen und haben es durchgezogen. Einmal „hingen“ sie sogar danach noch für ein paar Minuten zusammen, wie es nach einem richtigen Deckakt üblich ist.

Denn auch bei kastrierten Rüden wird das Glückshormon Dopamin ausgeschüttet, wenn er sexuelles Verhalten zeigt. Er kopuliert sogar, obwohl gar kein Testosteron mehr vorhanden ist und damit wirkt das Verhalten sozusagen selbstbelohnend.

Wann macht eine Kastration Sinn?

Wenn das Verhalten deines Hundes wirklich mit seinen Sexualhormonen zu tun hat, kann ein solcher Eingriff Sinn machen! Wichtig ist, dass du das Verhalten deines Hundes professionell in der jeweiligen Situation betrachten lässt. Es macht nämlich sonst wenig Sinn, wenn der Hund das Verhalten danach weiterhin zeigt, weil er es einfach so gelernt hat. Dann musst du ohnehin mit gezieltem Training an der Situation arbeiten.

Wenn du dir unsicher bist, kannst du die Auswirkungen einer Kastration bei deinem Hund auch erst einmal mit einem Probelauf ausprobieren – mittels eines Kastrationschips, der die Bildung der Sexualhormone für einen bestimmten Zeitraum (meist ca. 6 Monate) verhindert.

Wenn du mehr zu Verhaltensfragen und Kastration wissen möchtest, emfehle ich dir hier einen Gastartikel von Hundeverhaltensberater Alexander Schillack, der das Thema noch einmal aus seinem Blickwinkel betrachtet.

Risiken einer Kastration

Auch wenn es sich bei Kastrationen um relativ häufig praktizierte Operationen handelt, besteht natürlich immer die Gefahr, dass die Narkose deinem Hund zusetzt. Darüber hinaus gibt es bei kastrierten Rüden und Hündinnen auch eine Reihe von Spätfolgen, die du nicht außer Acht lassen solltest.

Risiken einer Kastration beim Rüden:
  • doppeltes Risiko von Knochentumoren, bei Frühkastraten vierfaches Risiko
  • vierfaches Risiko von Prostatakrebs
  • doppeltes Risiko von Blasenkrebs
  • dreimal höheres Risiko von Fettleibigkeit
  • dreifaches Risiko von Schilddrüsenunterfunktion
  • 1,6-faches Risiko für Herztumore
  • erhöhtes Risiko von HD und Kreuzbandrissen
  • erhöhtes Risiko für Demenz im Alter (bei Rüden)
Risiken einer Kastration bei der Hündin:
  • mehr als dreifaches Risiko für Knochenkrebs bei Frühkastration
  • mehr als doppelt so hohes Risiko für Milztumore
  • dreifaches Risiko einer Schilddrüsenunterfunktion
  • doppelt so hohes Risiko von Blasenkrebs
  • erhöhtes Demenz-Risiko im Alter
  • erhöhtes Risiko für Fettleibigkeit
  • viele Hündinnen großer Rassen leiden unter Inkontinenz