Auf der Hundewiese hört man immer wieder Ratschläge an Hundehalter, deren Vierbeiner als dominant gegenüber Artgenossen eingeschätzt werden. Doch ist das Verhalten wirklich auf Dominanz zurück zu führen oder steckt etwas ganz anderes dahinter? Darum geht es heutigen Artikel.

Wann immer unsere Hunde sich in unseren Augen problematisch verhalten, liegt die Diagnose „Dominanz“ nicht weit. Sei es der Hund, der auf der Straße jeden Artgenossen anbellt, der Passanten auf der Straße kommentiert oder sich auf der Hundewiese durch Aufreiten unbeliebt macht – so viele verschiedene Verhaltensweisen werden einem dominanten Verhalten des Hundes zugeschrieben.

Sind Rudelchefs dominant?

Wie ich im Artikel zu meiner Definition des Begriffs Rudelchef schon geschrieben habe, hat das Bedürfnis, am ranghöchsten zu sein, nicht unbedingt etwas damit zu tun, was wir unter Dominanz verstehen. Wenn ein hündischer Rudelführer auf der Bildfläche erscheint, ist es selten der Hund, der Randale macht und allen anderen einen auf den Deckel gibt. Es ist eher der souveräne, der sich nur einmischt, wenn es wirklich nötig ist und ansonsten durch seine ruhige Ausstrahlung und selbstsicheres Auftreten beeindruckt.

Wir Menschen verstehen Dominanz leider ganz anders! Wir empfinden Chefs, die uns sinnlose Vorschriften machen oder Menschen, die allgemein unterdrückend auftreten, als dominant und haben dann natürlich einen faden Beigeschmack im Mund. Ich kann das verstehen, auch wenn ich mir wünschen würde, dass Chefs einfach wieder mehr Vorbilder werden, denen man sich gern anschließt – egal, ob Mensch oder Hund!

Ratschläge, die bei dominanten Hunden helfen sollen

Auch Tipps, wie man sich als Rudelchef gegen einen dominanten Hund durchsetzt, sind immer schnell zur Stelle. Da soll man darauf bestehen, immer als Erster durch eine Tür zu gehen, den Hund erst füttern, wenn man selbst gegessen hat oder die Tatsache, dass Hunde beim Spielen nicht gewinnen dürfen. Überholte Weisheiten der Hundeerziehung kursieren immer noch zu Hauf.

Du sollst deinen Hund „in den Griff bekommen“, ihm zeigen „wer der Chef ist“. Mitunter hat das erschreckende Folgen, denn immer noch denken viele von uns, den Hund z.B. zu unterwerfen (Stichwort: Alphawurf) wäre die richtige Lösung, um das Rudelgefüge wiederherzustellen und dem Hund ein für alle mal klar zu machen, dass der Mensch das Sagen hat. Dabei hat das vermeintlich aufmüpfige oder dominante Verhalten oft ganz andere Ursachen.

Was sind die Gründe dominanten Verhaltens beim Hund?

Die Frage ist eher, welche Hintergründe ein dominantes Verhalten beim Hund haben könnte. Nehmen wir mal an, dein Rüde ist gerade mitten in der Pubertät. Da ist es ganz natürlich, dass er mal einen auf dicke Hose macht, sich aufspielt und seine Grenzen austestet. Es muss nicht automatisch eine Rebellion gegen die Obrigkeit sein, nur weil er mal ein dominantes Verhalten zeigt und vielleicht nicht auf dich hört. Das ist bei menschlichen Teenagern ja auch nicht anders.

Nur weil dein Hund sich aufspielt und Radau macht, heißt das nicht, dass er im Ernstfall nicht doch einen Rückzieher macht. Oft sind gerade die Lautstarken plötzlich nur noch Halbstark, wenn es hart auf hart kommt. Bei souveränen Artgenossen backen sie dann auf einmal ganz kleine Brötchen oder sind sogar extrem unterwürfig.

Mein Rüde Murdoch ist ein gutes Beispiel dafür. Sieht er von Weitem einen anderen Hund (oder jeglichen anderen Reiz) bellt er zuerst einmal. Er stellt die Nackenhaare auf und plustert sich richtig auf. Kommt der Hund dann jedoch näher, ist er zwar nicht unterwürfig, dafür aber freundlicher als man aus der Ferne erwartet hätte. Er ist generell ein Hund, der schnell anschlägt und irgendwie sieht er das auch als seine Aufgabe. Das heißt aber nicht, dass er wahllos drauflos stürmt. Ist er sich nicht sicher, bleibt er auffallend bedacht in meiner Nähe und wartet auf Rückmeldung von mir, seiner souveränen Rudelchefin, auf deren Entscheidungen er vertraut. 😉

Weil Murdoch ein solch ausgeklügeltes Frühwarnsystem besitzt, nimmt er gern Positionen zu Hause ein, die ihm einen möglichst guten Überblick verschaffen. So liegt er z.B. wenn möglich direkt vor der Eingangstür und kommentiert ALLES, was vor dem Haus passiert: Jemand geht vorbei, ein Vogel landet im Baum, der Bus fährt vorbei, jemand ruft etwas drei Häuser entfernt… Auch im Wohnzimmer hat er seinen Lieblingsplatz, von dem aus er nicht nur die komplette Straße hochschauen kann, sondern auch besten Überblick über einen Großteil des Hauses hat. Diese Positionen nimmt er ganz automatisch ein, wenn ich ihn nicht bewusst woanders hinschicke. Wenn er dort sitz und bellt, hat das also nichts mit Dominanz zu tun, sondern mit Wachsamkeit, die ihm einfach in die Wiege gelegt worden ist.

Die Lösung, zumindest zu Hause, ist also einfach: Murdoch ist generell ein wenig unsicher, wenn es um das Einschätzen der „Gefährlichkeit“ von Situationen geht. Deshalb schränke ich es einfach ein, wenn seine Alarmanlage mal wieder übertreibt. Dann schicke ich ihn auf einen anderen Platz oder nehme ihn näher zu mir. Meine Aufgabe ist es dann, ihm zu vermitteln, dass alles in Ordnung ist und er sich keine Sorgen machen muss. Verbot oder Druck hilft nicht, das habe ich bereits ausprobiert. Viel besser funktioniert es, wenn ich ihm auf freundliche Art verständlich mache, dass er gerade nicht aufpassen braucht.

Es gehören immer zwei dazu...

Meine Cane Corso Hündin Freya zeigt mir immer wieder, dass zu einem Dominanz-Konstrukt zwei gehören. Im Normalfall ist sie sehr glücklich mit ihrer Position im Rudel. Ich merke jedoch an Tagen, wo ich selbst nicht gut drauf bin, dass sie die Führung übernehmen möchte. Es ist ihr wichtig, dass unser kleines Rudel in Sicherheit ist und wenn die Menschen (aus welchem Grund auch immer) mental oder körperlich nicht so ganz auf der Höhe sind, dann sorgt sie dafür, dass alles in geregelten Bahnen läuft.

Das bedeutet automatisch, dass ich ihr an solchen Tagen durch meine Ausstrahlung und mein Verhalten den Platz an der Spitze überlasse. Ich kann das auch gut nachvollziehen, denn wenn es uns Menschen nicht gut geht, sind wir meist nicht in der Lage, vernünftige Entscheidungen zu treffen. Kein Wunder also, dass meine Püppi (ihres Zeichens ganz Wach- und Schutzhund) sofort die Führung übernehmen möchte, wenn sie merkt, dass ich meine Aufgabe als Rudelchef nicht übernehmen kann. Wer kann es ihr verübeln? Einer muss ja schließlich die Verantwortung für uns Chaoten übernehmen…

Manchmal haben Püppi und ich auch Diskussionen, die für Außenstehende dominant wirken könnten. Ich sage ihr, was sie machen soll, woraufhin sie den Kopf runter nimmt und der ganze Körper erstarrt. Dann beginnt sie mit dem Schwanz zu wedeln und je nach Intensität des Wedelns kann ich abschätzen, in welcher Stimmung sie ist. Meist möchte sie einfach ein bißchen Aufmerksamkeit oder ganz theatralisch auf Cane Corso Art spielen. Dann knurrt sie, macht übertriebene Bewegungen, haut mich mit der Pfote an und tut so, als würde sie mir in die Hand beißen. Dabei merke ich jedoch wirklich keinerlei Zähne, sie ist super sanft, auch wenn das nicht so aussieht. In den meisten Fällen lasse ich mich gern auf das Spielchen ein.

Manchmal jedoch ist es natürlich auch anders herum. Klar, sie will auch mal Grenzen testen, hinterfragt oft und manchmal treffe ich auch auf puren Widerwillen. Das sind dann meist Momente, in denen ich nicht ganz hinter meiner Anweisung stehe und mich selbst in Frage stelle. Dann entscheide ich von Fall zu Fall, wer Recht hat. Manchmal sind meine Anweisungen echt hirnrissig und machen in dem Moment keinen Sinn für Püppi. Dann lasse ich mich überzeugen, aber wenn ich etwas wirklich durchsetzen will, mache ich das ruhig, freundlich, aber bestimmt. Eine Form der Dominanz, die niemanden verletzt – weder seelisch noch körperlich. In dem Moment sage ich mir einfach: „Nein, das ist jetzt nötig und wir diskutieren hier nicht rum!“ Dann atme ich einmal kurz durch und noch bevor ich etwas sagen kann, führt Püppi das Kommando meist bereits aus. Zwar theatralisch und dramatisch, aber dennoch macht sie, was ich ihr sage.